Sonntag, 7. April 2019

Kino ! Kino !

Ein wunderschönes, ausführliches Booklet - meine Inhaltsangaben sind verkürzt wiedergegeben

Im Rahmen des 13. Lateinamerikanischen Filmfestivals vom 20.bis 31. März im Das Kino sahen wir - mein Sohn und ich - uns gemeinsam diese Filme an:

Mamacitá (Doku Mexiko)
spanische OF mit deutschen Untertiteln
Regie: José Pablo Estrada Torrescano (anwesend)

Mamacitá, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 95 Jahre alt, hat in Mexiko als junge Frau ein Schönheitsimperium aufgebaut. Sie wünscht sich nun von ihrem Enkel José Pablo einen Film über ihr Leben. Er erfüllt ihr diese Bitte und wir Zuschauer haben Anteil nicht nur an Mamacitás Alltag, sondern erfahren auch von alten Wunden Mamacitás und ihres Enkels. Zum Ende hin kann sich Mamacitá mit ihrer schwierigen Kindheit aussöhnen und ihr Enkel ihr seinerseits verzeihen.

Es ist ein wunderbarer, anrührender Film geworden,voller Ehrlichkeit, Humor und Bewunderung für Mamacitá, diese despotische, rechthaberische, keine Kritik vertragende - und gleichzeitig so verletzliche Grande Dame.
Eine Szene zum Schluß hin hat mich besonders berührt: Mamacitá sehen wir die ganze Doku über, ihrem eigenen Anspruch gemäß, auch im Alter gepflegt zu sein, nur in teurer Kleidung, die Haare wohlonduliert, Lippenstift und überlange künstliche Fingernägel. In dieser Einstellung aber ist sie ganz schlicht gekleidet, die Haare glatt und kein Lippenstift. Einfach eine alte Frau, die nun ihren Schutzpanzer ablegen kann.
Im Herbst erscheint Mamacitá regulär in den Kinos und ich kann mir durchaus vorstellen, mir den Film nochmals anzuschauen.

Matar a Jesús (Spielfilm Kolumbien)
(Killing Jesus)
spanische OP mit englischem Untertitel
Regie: Laura Mora Ortega

Die junge Studentin Paula wird Augenzeuge des Mordes an ihrem Vater. Von einem der beiden Mörder kann sie das Gesicht erkennen und fasst den festen Entschluß, ihn zu töten. Auf der Suche nach ihm entdeckt sie ihn schließlich in einer Discothek. Sie erschleicht sich sein Vertrauen und da er nicht weiß, wer sie ist, gilt sie für ihn, seine Freunde und Familie bald als seine Freundin. Beide treffen sich oft und je öfter sie ihn sieht und mehr über ihn erfährt, desto schwerer fällt es ihr, ihn zu töten.
Als sie zum furiosen Schluß hin die beste Gelegenheit dazu hat, ja, Jesús sie sogar anfleht, ihn zu töten, nachdem er nun weiß, wer sie ist, sie aber liebt und schließlich den Mord gesteht, da schafft es Paula nicht, ihn zu töten. Sie geht davon und lässt ihn in all seiner Verzweiflung zurück.

Es gibt einige Filme, in denen man als Zuschauer sogar eine gewisse Sympathie für den Täter empfindet. Hier ist es genauso: Laura Mora Ortega ist es wunderbar gelungen aufzuzeigen, dass niemand von seinem Charakter her nur eindimensional ist, auch nicht ein Mörder. Ein spannender, toller Film, den ich mir ohne Zögern nochmals anschauen würde.

El Comienzo del Tiempo (Spielfilm Mexiko)
(The Beginning of Time)
spanische OP mit englischem Untertitel
Regie/Drehbuch: Bernardo Arellano

Für Antonio und Bertha, ein 80jähriges Ehepaar, ändert sich ihr Leben drastisch, als der Staat ihre Pension nicht mehr ausbezahlt. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, zu Geld zu kommen, bieten sie schließlich in einem Einkaufswagen Street Food an.
Durch reinen Zufall treffen sie auf ihren Sohn, der sich jahrelang nicht hatte blicken lassen, sowie ihren (erwachsenen) Enkel Paco. Der Sohn verspricht, sich fortan um die beiden zu kümmern, verschwindet aber und taucht nicht mehr auf. Paco lässt er bei den Großeltern, die ihren antriebslosen Enkel mit verklärtem Blick sehen. 

Der Inhaltsangabe im Booklet nach wird sich das Leben von Antonio und Bertha schlagartig ändern, wenn Sohn und Enkel in ihr Leben treten. Ich empfand es keineswegs so, denn der Sohn verschwindet auf Nimmerwiedersehen und Paco ist egoistisch, faul und lässt sich von vorn und hinten von seinen Großeltern bedienen. Selbst, als Paco zum Schluß hin Arbeit findet, versöhnte mich das nicht. Während ich immerhin Mitleid mit dem alten Ehepaar empfand und mich über das Verhalten des Enkels geärgert habe, fand mein Sohn den Film einfach nur langweilig (ja, das darf ich schreiben, ich habe seine Erlaubnis).

Cenizas (Spielfilm Ecuador)
(Ashes)
spanische OF mit englischen Untertiteln
Regie/Drehbuch: Juan Sebastián Jácome

Der Vulkan Cotopaxi droht auszubrechen und aus ihrer Angst und Einsamkeit heraus, wendet sich Caridad an ihren Vater, zu dem sie jahrelang keinen Kontakt hatte. Der Vater verließ die Familie im Unguten und lebt nun mit einer anderen Frau zusammen.

Dieser Film erzählt von einer komplizierten Vater-Tochter-Beziehung, von unklaren Schuldzuweisungen an den Vater, von Annäherung und Ablehnung.
Diego Naranjo spielt den Vater großartig, allein seine Augen spiegeln all seine Empfindungen wider, man könnte ihm stundenlang zuschauen. Faszinierend fand ich auch, dass permanent Asche vom Vulkan herabrieselte und wie die Bewohner darauf reagierten: Sie klopften sich einfach die Asche von der Kleidung und lebten völlig gelassen ihren Alltag weiter.

Cocote (Spielfilm Dominikanische Republik)
spanische OF mit deutschen Untertiteln
Regie: Nelson Carlo De Los Santos Arias

Alberto arbeitet als Gärtner in Santo Domingo bei einer wohlhabenden Familie. Als er vom Tod seines Vaters erfährt, reist er in sein Heimatdorf, um an der 9tägigen Trauerzeremonie teilzunehmen. 
Es stellt sich heraus, dass sein Vater von einem Dorfbewohner getötet wurde und die Familie erwartet von Alberto Rache für dieses Verbrechen.

Hier geht es um alte Traditionen, verändertes Denken und letztendlichen Zwängen - Alberto übt gegen seine Überzeugung die geforderte Rache aus. An sich ein hochspannendes Thema, aber für mich miserabel umgesetzt. Es ist sehr schwer, die endlosen Wiederholungen des Trauerrituals auszuhalten und die Kameraführung ist oft merkwürdig und nicht nachvollziehbar. Ich habe mich sehr gelangweilt - obwohl ich anfangs offen für das Thema war - und hatte nur den einen Wunsch, der Film möge aufhören !
Der Produzent, Lukas Valenta Rinner, war zu Gast und erzählte anschließend viel Interessantes über den Film - und ich dachte: Von welchem Film spricht er eigentlich ???

Viaje (Spielfilm Costa Rica)
spanische OF mit englischen Untertiteln
Regie/Drehbuch: Paz Fábrega

Luciana und Pedro lernen sich auf einer Kostümparty kennen und beschließen, Zeit miteinander zu verbringen. Als Pedro für seine Biologie-Doktorarbeit nach Ricón de la Vieja aufbrechen muss, begleitet ihn Luciana spontan. Die beiden verleben einige intensive Tage im Nationalpark, um sich dann aber wieder zu trennen.

Ein absolut zauberhafter, leichter Film, getragen von den beiden liebenswerten Darstellern, der uns zeigt, wie schön es sein kann, einfach nur mal im Hier und Jetzt zu leben.
Ein Nachtrag: Luciana ist diejenige, die zurückkehrt, während Paco noch bleibt. Das verlangt doch nach einer Fortsetzung, oder ???

Distancias cortas (Spielfilm Mexiko)
(Walking Distance)
spanische OF mit deutschen Untertiteln
Regie: Alejandro Guzmán Alvarez

Fede wiegt 200 Kilo und lebt in einer abbruchreifen Wohnung, die er so gut wie nie verlässt. Seine Einsamkeit wird nur unterbrochen durch gelegentliche Besuche seiner ewig nörgelnden Schwester und seinem zu allem jasagenden Schwager. Eines Tages findet Fede eine alte Filmrolle und beschließt, den Film entwickeln zu lassen. Im Fotoladen trifft er auf den jungen Verkäufer Paulo. Zwischen den beiden und Fedes Schwager, der endlich Rückrat zeigt, entsteht nach und nach eine tiefe Freundschaft, die Fedes Leben verändert.

Mich hat dieser Film sehr berührt: Dieser dicke, dicke, einsame Mann, der sich keinen seiner Träume aufgrund seines extremen Gewichtes erfüllen kann und dabei doch so sympathisch ist. Die Szene, als er sich zu einer Reise entschließt und im Reisebüro mit fadenscheinigen Ausflüchten am Buchen gehindert wird, ist kaum auszuhalten. Diskriminierung pur. Und schon, als wir sehen, wie sich dieser schwere Mann mühsam zum Fotogeschäft schleppt, lässt mich den Atem anhalten.
Aber es gibt auch viel zu lachen in diesem Film, nachdem er, Paulo und sein Schwager Freunde geworden sind. Das Publikum geht voll mit dem Film mit und ich gehe es auch.
Der Regisseur präsentiert uns ein herzerwärmendes, liebevolles Märchen, jawohl, ein Märchen. Aber hat nicht jeder von uns schon mal erfahren, was Freundschaft bewirken kann ?
Ich wünsche mir diesen Film in die Kinos - und auf DVD (ebenso Mamacitá und Matar a Jesús) !

Jeder Film erzählt eine eigene Geschichte und es war ein besonderes Erlebnis, diese Filme anzuschauen (auch wenn mir/uns Cocote so gar nicht gefiel - dabei wurde der Film auf Festivals mit Preisen überhäuft - wer irrt da?), alleine deshalb, da sie kaum bei uns zu sehen sind und wir sehr wenig bis gar nichts über das Filmschaffen in diesen Ländern wissen. Wir freuen uns schon jetzt auf das 14. Lateinamerikanische Filmfestival in zwei Jahren !

Nachtrag: Yuli konnten wir uns aus zeitlichen Gründen leider nicht anschauen, der Film läuft aber glücklicherweise noch im Das Kino! Und: Die Beiträge meines Sohnes zum 13. Lateinamerikanischen Filmfestival finden sich unter: www.wilsonsdachboden.com